Vorgeschichte

Alles hat 1990 im Vorfeld des Krieges begonnen, der zum Zerfall Jugoslawiens, meiner alten Heimat, führen sollte. In der Mitte des Lebens hieß es für mich, alles zurücklassen: die zweijährige Tätigkeit als Anwältin aufgeben, das Richteramt nach zehnjähriger Praxis niederlegen. Neu anfangen, beruflich wie privat. Deutschland ermöglichte meiner Familie und mir mit Flüchtlingsstatus 1992 die Zuflucht und wurde später unsere neue Heimat.

 

Kurz nach der Flucht erfuhr ich von den gerade bekannt gewordenen Massenvergewaltigungen in Bosnien und Herzegowina. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), der im Mai 1993 mit Sitz in Den Haag gegründet wurde, begann bereits im Jahr 2000 der erste Prozess, in dem Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert wurde und das erste Urteil eines internationalen Gerichts aufgrund von sexueller Gewalt erging – ein historisches Ereignis. Erstmals in der Geschichte des humanitären Völkerrechts wurde sexualisierte Gewalt an Frauen nicht als unvermeidlich hingenommen, sondern als Kriegsverbrechen anerkannt und verfolgt. Trotz dieser Fortschritte in der Normdurchsetzung bezüglich sexueller Gewalt ist die geringe Zahl bisher Verurteilter eher ernüchternd. Die Gründe dafür liegen in der schwierigen Beweisführung bei der Verfolgung solcher Verbrechen – vor allem wegen der geringen Bereitschaft der Frauen, sich den Gerichten als Zeuginnen zur Verfügung zu stellen. Aber selbst wenn Beweise vorliegen, fehlt es nicht selten am nötigen politischen Willen, um diese Gewalt vor Gericht zu bringen.

 

Das Ausmaß und die Folgen solcher Verbrechen an Frauen musste ich kurz nach der Flucht bei meiner Arbeit für die Organisation medica mondiale e.V. aus Köln im Kosovo und Bosnien und Herzegowina kennenlernen. In dieser Zeit habe ich viel Leid gesehen und furchtbare Erfahrungen gemacht. Insbesondere die Erkenntnis, dass Frauen, die vergewaltigt oder sexuell misshandelt wurden, in der Folge häufig von ihren Familien und Ehemännern als „entehrt“ verstoßen wurden , hat mich zutiefst betroffen gemacht. Aber ich hatte im Kosovo nicht nur mit sexualisierter Gewalt an Frauen zu tun. In einer sehr konservativen, durch die Vormacht der Männer seit Jahrhunderten geprägten Gesellschaft, erfuhr ich durch meine Arbeit auch von Fällen der Blutrache, Zwangsheirat, von Ehrenmorden an Frauen, von Bigamie, sowie der weit verbreiteten häuslichen Gewalt an Frauen. 

 

Auf verschiedenen Tagungen und Konferenzen in Albanien, Bosnien, Kroatien und in der Türkei, die einen Schwerpunkt auf „Frauenrechte als Menschenrechte“ setzten, an denen ich während meiner Arbeit im Kosovo teilgenommen habe und die mich später im Anschluss an meinen Aufenthalt im Kriegsgebiet weiter in den Iran und zuletzt nach Mexiko führten, wurde mir bewusst, wie sehr eine Organisation wie IWRAW  in den USA bzw. IWRAW Asia Pacific im asiatischen Raum, hier in Europa fehlt. Eine Organisation, die das immer noch wenig bekannte UN-CEDAW-Übereinkommen (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) bekannt machen würde und Frauenaktivistinnen und Organisationen juristische Hilfe im Kampf gegen Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Frauen zur Verfügung stellt. 

 

In mir wurde der Wunsch geweckt, ein Alumni-Netzwerk zur Beseitigung der Diskriminierung der Frauen mit Hilfe einer Organisation von Juristinnen verschiedener Nationalitäten zu gründen, die auch als Multiplikatorinnen der Bekanntmachung und Umsetzung dieser Frauenrechtskonvention in einschlägigen Ländern dienen sollten. Bei diesem Vorhaben hat mich die beinahe leidenschaftlich geschriebene Literatur von Dr. Hanna Beate Schöpp-Schilling über die Konvention darin bestärkt, mich tiefer mit CEDAW - diesem „Herzstück des internationalen Menschenrechtsinstruments für Frauen" zu beschäftigen und die so erlangten Kenntnisse für die erfolgreiche juristische Arbeit der Frauenorganisation zu verwenden. Zusammen mit elf anderen Juristinnen verschiedenen Herkunftsländer gründete ich schließlich am 6. November 2007 den Verein Anwältinnen ohne Grenzen e.V. in Freiburg, der sich vor allem der Bekanntmachung und Durchsetzung der CEDAW-Konvention widmet.

 

Jasmina Prpić, LL.M.

Gründerin des Vereins